Von Angelika Wende
Schon Schopenhauer, der sein Leben als Einzelgänger verbrachte, war der Meinung, dass nur geistreiche Menschen das Alleinsein genießen können. Menschen, die sich nach sozialen Kontakten sehnen und das Alleinsein nicht ertragen, sah er als geistig ziemlich arme Wesen. Die großen Philosophen wie Nietzsche und Kierkegaard waren Einzelgänger, Emily Dickinson und Hermann Hesse waren es, Van Gogh und Leonardo da Vinci ebenfalls. Letzterer war sogar davon überzeugt, dass man nur sich ganz gehöre, wenn man allein ist. Wer sein Leben nur mit einem anderen Menschen teilen würde, der würde nicht mehr sich ganz gehören. Wahrscheinlich war dies auch der Grund, warum da Vinci nie in einer Partnerschaft gelebt hat. Michelangelo, so steht zu lesen, war einst ein geselliger Mensch, doch änderte sich das, als die lieben Mitmenschen erkannten, was für ein Genie er war und ihm mit Neid und Missgunst begegneten. Erkennend, dass er der Masse nicht wirklich willkommen war, wurde er zum Einsiedler.
Viele große Denker haben für sich gelebt, nicht weil sie sich als etwas Besseres verstanden, nicht aus Gründen der Arroganz, sondern weil sie schlicht vom Pöbel unverstanden blieben.
Das ist heute nicht anders.
„Intelligente Menschen sind Einzelgänger und vermeiden weitgehend soziale Kontakte. Intelligente Menschen sind allein oft glücklicher, als wenn sie von anderen Leuten umringt sind.“ Dies ergab eine aktuelle Studie, die im British Journal of Psychology veröffentlicht wurde. Die Autoren der Studie, Norman Li, Evolutionspsychologe an der Singapore Management University und Satoshi Kanazawa von der London School of Economics, haben sich mit der Frage beschäftigt, wie sich Intelligenz, Freundschaft und Bevölkerungsdichte auf das Glücksgefühl der Menschen auswirken. Was sie herausfanden: Je niedriger die Bevölkerungsdichte und je mehr soziale Interaktion mit Freunden unterhalten wird, umso glücklicher ist der Mensch.
Das gilt laut ihrer Studie allerdings nicht für besonders intelligente Menschen. Diese fühlen sich glücklicher, wenn sie ihre Zeit nicht mit anderen Menschen verbringen müssen. Der Grund: Kluge Menschen können ihre Aufgaben besser alleine lösen und ziehen es vor selbstständig die Herausforderungen des Lebens zu meistern. Deshalb sind für sie Beziehungen weniger wichtig, Menschen, so eine Aussage der Studie, würden sogar oft als Klotz am Bein wahrgenommen.
Warum ist das so? Warum ziehen es intelligente Menschen vor allein zu sein?
Intelligente oder Hochbegabte sehen die Welt anders. Zum einen haben intelligente Menschen bei allem was sie wahrnehmen, sehen und hören, den Drang zu analysieren und sich mit ihren Mitmenschen darüber auszutauschen. Zum anderen haben sie oft ein Wissensgebiet oder Leidenschaften, welche sie total faszinieren und in die sie immer tiefer eindringen wollen.
Das Problem: Der ‚Normal-Begabte‘ kann dieses In-der Welt-sein im Allgemeinen nicht nachvollziehen. Somit ist es für intelligente Menschen schwer ein Gegenüber zu finden, das sie versteht und ihre Gedanken zu teilen vermag. Andererseits geht der „Normal-Begabte“ dem „Höher-Begabten“ aus dem Weg, weil er ihn als zu anstrengend empfindet und ihm seine tiefe Gedankenwelt fremd ist.
Nun, entgegen der Aussagen der Forscher, glaube ich nicht, dass intelligente Menschen niemanden brauchen. Ich weiß vielmehr, dass es unendlich schwer für sie ist, Gleichgesinnte zu finden mit denen sie teilen können, wofür sie brennen.
Bevor sie nun aber ihre Zeit mit sinnlosen und langweiligen Gesprächen und Kontakten verbringen, ziehen sie es vor die Zeit mit sich allein zu verbringen um sich dem zu widmen, was sie fasziniert. Sie sehen einfach keinen Sinn in oberflächlichen Begegnungen, Bespaßung und sonstigen inhaltlosen Zerstreuungen und dem, was ich „blubber, blubber“ nenne: Sinnloses Gerede über Banalitäten, das zu nichts führt und zum Gähnen langweilig ist.
Wer die Wahl hat, muss entscheiden und der intelligente Mensch entscheidet sich dafür seine kostbare Lebenszeit, dem zu widmen, was ihn inspiriert, was ihm wertvoll und wichtig ist und was seinen Geist und seine Seele erfüllt.
So bleiben viele dieser Menschen meist ihr Leben lang Einzelgänger, oder sie werden es nach unzähligen unbefriedigenden Beziehungs- und Kontaktversuchen. Ob sie damit glücklich sind? Nun, aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Sie sind zumindest glücklicher als mit dem, was sie nicht glücklich macht – blubber, blubber, nämlich.
Ann Clarkson, die Sprecherin von Mensa International, dem Verband für Menschen mit hohem IQ, sagt zum Thema Folgendes: „Es ist bewiesen, dass sich sehr intelligente Menschen manchmal von den Menschen um sich herum isoliert fühlen, weil sie die Welt anders sehen und wahrnehmen. Es ist schwer, jemanden zu finden, der Informationen genauso verarbeitet wie du, wenn dein Gehirn so funktioniert, wie das von nur zwei Prozent vom Rest der Weltbevölkerung.“
Des Weiteren gehören intelligente Menschen meist zu den Introvertierten, im Gegensatz zu den Extrovertierten. Die Interaktion und die Auseinandersetzung mit anderen kostet einen Introvertierten viel Energie.
Diese Menschen fühlen sich schnell unwohl in Menschenansammlungen und brauchen Stille. Der Umgang mit dem Lauten, die grelle, schrille, immer hektischer werdende Umwelt, das ständige Pipen der Handy-Generation, löst bei ihnen Stress aus. Sie sind schnell mit Reizen überflutet und müssen sich schützen. Sie sind eben anders, sie sind empfänglich für die leisen Töne und diese finden sie nur in der Stille.
Sind nun intelligentere Menschen keine sozialen Wesen oder gar beziehungsunfähig?
Ich behaupte: Nein. Sie sind sogar sehr sozial, denn sie haben mehr Feingefühl, mehr Empathie und feinere Antennen für alles Sinnliche und Sinnhafte, als andere und sie haben mehr Tiefe und Werte, für die sie stehen und die sie leben. Und genau das ist es, was sie in der von Reizüberflutung und in der Lebenshaltung modernen Welt nicht finden.
Was bleibt ist der Rückzug in sich selbst und in die eigene schwer teilbare Welt. Eine einsame Heimat. Und auch wenn sie erfüllend ist, ein Leben ohne Seelenverwandte macht innen manchmal sehr allein. In einer anderen Welt als der heutigen wären sie die „alten Weisen“.
Angelika Wende – 18. Mai 2016
Coach, Stimm- und Sprechtrainerin, Rednerin, Moderatorin, Autorin, Malerin
http://angelikawende.blogspot.de/
Die Menschen meines Stammes sind leicht zu erkennen:
Sie gehen aufrecht, haben Funkeln in den Augen und
ein Schmunzeln auf den Lippen.
Sie sind weder heilig noch erleuchtet.
Sie sind durch ihre eigene Hölle gegangen,
haben ihre Schatten und Dämonen angeschaut
und angenommen.
Sie sind keine Kinder mehr,
wissen wohl was Täter /Opfer sein bedeutet,
haben ihre Scham und ihre Rage explodieren lassen und
dann die Vergangenheit abgelegt,
die Nabelschnur durchtrennt und
die Verantwortung übernommen.
Weil sie nichts mehr verbergen wollen, sind sie klar und offen. Weil sie nicht mehr verdrängen müssen,
sind sie voller Energie, Neugierde und Begeisterung.
Das Feuer brennt in ihrem Bauch!
Die Menschen meines Stammes kennen den wilden Mann
und die wilde Frau in sich und haben keine Angst davor.
Sie halten nichts für gegeben und selbstverständlich,
prüfen nach, machen ihre eigenen Erfahrungen und
folgen ihrer eigenen Intuition.
Frauen und Männer meines Stammes begegnen sich
auf der gleichen Ebene, achten und schätzen ihr Anders-Sein,
konfrontieren sich ohne Bosheit und lieben ohne Rückhalt.
Menschen meines Stammes gehen viel nach Innen, um
sich zu sammeln,
Kontakt mit den ureigenen Wurzeln aufzunehmen,
sich wieder zu finden,
falls sie sich im Rausch des Lebens verloren haben.
Und dann kehren sie gerne zu ihrem Stamm zurück,
denn sie mögen teilen und mitteilen, geben und nehmen,
schenken und beschenkt werden.
Sie leben Wärme, Geborgenheit und Intimität.
Allein fühlen sie sich zwar nicht verloren wie kleine Kinder und
können gut damit umgehen.
Sie leiden aber manchmal unter Isolation und sehnen sich
nach ihren Seelenschwestern und -brüdern.
Die Zeit unserer Begegnung ist gekommen!
Autor unbekannt
Fotos / Pictures thanks to © Angelika Wende
Liebe Çiğdem, liebe Frau Wende,
besonders diese Zeilen – neben dem Artikel an sich, dessen Aussage ich voll und ganz teile – haben mich stark berührt:
„Kontakt mit den ureigenen Wurzeln aufzunehmen,
sich wieder zu finden,
falls sie sich im Rausch des Lebens verloren haben.
Und dann kehren sie gerne zu ihrem Stamm zurück,
denn sie mögen teilen und mitteilen, geben und nehmen,
schenken und beschenkt werden.
Sie leben Wärme, Geborgenheit und Intimität.
Allein fühlen sie sich zwar nicht verloren wie kleine Kinder und
können gut damit umgehen.
Sie leiden aber manchmal unter Isolation und sehnen sich
nach ihren Seelenschwestern und -brüdern.
Die Zeit unserer Begegnung ist gekommen!“
So ist es! Vielen Dank für diesen wundervollen Beitrag! 💛
Lieber Werner,
wie schön, hier deinen Kommentar zu lesen. MERCI. :-)
Frau Angelika Wendes Beiträge – auch auf ihrem Blog – und das anonyme Gedicht oben im Beitrag sind wegen wunderbarem Tiefgang ein Seychellen-Urlaub für meine Seele.
Und ich freue mich sehr, wenn auf unserem Netzwerk Gleichgesinnte sich zusammenfinden.
Herzliche Grüße
Çiğdem