Zwangsheirat – Eines der größten Verbrechen gegen die Menschlichkeit!


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Von Çiğdem Gül

Dezember 2011

 

Teil I: Arrangierte Ehe und Zwangsheirat
– zur Schwierigkeit der Abgrenzung

Als arrangierte Vernunft-Heirat bezeichnet man eine, von der Familie, von Verwandten, Bekannten oder Ehevermittlern initiierte Heirat, die im vollen Einverständnis der Eheleute geschlossen wird. Die Hauptgründe für arrangierte Vernunft-Ehen sind z. B. die Hoffnung der Eltern auf eine gute Versorgung der Tochter und dem Schutz durch den ausgewählten Ehemann. Arrangierte Ehen sind in vielen Fällen dennoch nicht unkritisch zu betrachten. „Die Abgrenzung der Zwangsheirat zur arrangierten Ehe ist fließend, weil es letztlich der subjektiven Einschätzung der Beteiligten unterliegt, was als Zwang empfunden wird. Eindeutig ist eine Zwangsheirat nur bei Androhung oder Anwendung von Gewalt, bei einer Eheschließung trotz ausdrücklichen Protestes von Seiten der Braut oder des Bräutigams.“ [1]

Durch den Hintergrund kultureller und religiöser Strukturen, die Erziehung und durch dem Erwartungsdruck der Familien besteht für die meisten Betroffenen in der Realität gar keine Möglichkeit, eine/n EhekandidatIn oder Ehe abzulehnen. Daher liegt hier auch in gewisser Weise ein Zwang vor, die strukturell bedingt ist. In diesen Fällen kann eine Abgrenzung zu Zwangsverheiratung nicht vorgenommen werden, „da die Unterschiede nur marginal“ [2] seien.

Eine durch eine religiöse und soziale Zeremonie geschlossene Zwangsheirat liegt vor, wenn mindestens einer der Eheleute durch die Familien ausgeübte Drohung und Gewalt zur Eheschließung gezwungen wird. Hierbei handelt es sich zumeist um Kinderheirat, die nicht durch die Entscheidung mündiger Ehepartner zustande kommt.

Der Status der Zwangsverheiratung basiert auf den Zeitpunkt der Eheschließung. Hier wird zwischen angedrohter sowie bereits erfolgter Zwangsverheiratung unterschieden. [3] Es gilt zu berücksichtigen, dass betroffene Mädchen, Jugendliche oder Frauen in der Regel nicht nur von ihren Eltern und Geschwistern, sondern von der gesamten Großfamilie bzw. Sippe bedroht werden. „Wenn die Betroffenen sich weigern, die für sie bestimmte Heirat einzugehen, sind sie oft Repressionen durch Mitglieder der eigenen Familie ausgesetzt, die von Beschimpfungen und Drohungen über Prügel bis hin zu sogenannten Ehrenmorden reichen.“[4]

An dieser Stelle möchte ich das Zitat eines mir unbekannten Verfassers einbeziehen, das die Paradoxie der Thematik am besten zum Ausdruck bringt.

 

„Die Mädchen bekommen von klein auf gelehrt,

nicht mit fremden Männern zu sprechen und

plötzlich sollen sie mit einem fremden Mann ins Bett steigen

und Kinder bekommen!“

 
 
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Teil II: Eigene Gedanken und Meinung zu diesem Thema

Viele von uns können sich mitten in Europa gar nicht vorstellen, dass es Zwangsheirat existieren soll; dabei sind viele Fälle bereits vor unserer Haustür…am selben Wohnort… im Freundeskreis… nebenan in der Nachbarschaft. Auch im 21. Jahrhundert wird mitten in Deutschland die Zwangsheirat an minderjährige Mädchen UND Jungen und an nicht-Minderjährige praktiziert.
Unter dem Deckmantel einer pompösen Hochzeit mit 500 bis 1000 Gästen wird der Grab dieser jungen Menschen geschaufelt und auf dem „blutigen Leichentuch“ den ganzen Abend der Hochzeit fröhlich getanzt.
ZWANGSVERHEIRATUNG IST FÜR MICH EINES DER GRÖSSTEN VERBRECHEN GEGEN DIE MENSCHLICHKEIT !!

…einer der schlimmsten Missbräuche, die man am eigenen Kind/ern ausüben kann!
Mit anderen Worten: Es ist eines der größten Perversionen, um ein zartes, junges Leben für immer zu zerstören!

Bereits die Androhung von Zwangsverheiratung ist Gewalt.

In diesem Zusammenhang akzeptiere ich in bestimmten kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten die entsprechend definierte „Ehre“, „Image“ und „Armut“ als genannte und legitimierte Gründe NICHT! Schließlich beinhaltet „Ehre“ nicht die, in vielen Kulturen gesellschaftlich anerkannte, lebenslange Vergewaltigungen der Minderjährigen und Nicht-Minderjährigen in der Ehe.

DIE EHRE DER MENSCHLICH DENKENDEN

BEFINDET SICH NUR IM GEISTE.

 

An dieser Stelle möchte ich Euch und Ihnen die, mich immer wieder beeindruckende, folgende Aussage von Feride Alkan zum Ausdruck bringen. Ich habe versucht, diese türkische Aussage ins Deutsche zu übersetzen.

 

„Wenn die Ehre der Menschlichkeit im Frau-Sein verborgen ist,

dann sollte man(n) wissen,

dass die Ehre der Frau auf ihre Unabhängigkeit basiert.

Folglich ist die Menschlichkeit unehrenhaft,

wenn die Frau nicht unabhängig ist.“


NAMUS

İnsanlığın namusu kadınında giziliyse,

bilinmelidir ki;

kadının namusu özgürlüğünde gizlidir.

O halde kadın özgür değilse,

insanlık da namuslu değildir.

 

 

Ich habe selbst keine Zwangsheirat erlitten, kenne aber viele, auch im engeren Kreis, Biographien in der Zwangsheirat stattgefunden hat. Ich kenne die tiefen und irreparablen Wunden und Qualen dieser Seelen. Viele von ihnen haben psychische Erkrankungen entwickelt und überleben die Schmerzen mit Verdrängen, Medikamenten, Drogen, jahrelangen inneren und äußeren Tränen und/oder Therapien.

 
 

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Teil III: Zwangsheirat in anderen Kulturen am Beispiel einer aktuellen, türkischsprachigen Serie und Zwangsheirat in Deutschland
– Motive und Ursachen

Ich möchte in meinen Beitrag dieses Thema in zwei Kategorien einteilen. Zum einem möchte ich die Zwangsheirat in anderen kulturellen Kontexte kurz beleuchten und sie in ihrer ursprünglichen Form beschreiben; denn die Ursachen für diese Zwangsverheiratungen sind teilweise eine andere, als die Zwangsheirat in der westlichen Welt. Zum anderen werde ich auf die Zwangsehen in Deutschland eingehen.

Es gibt Länder und Kulturen, in der Zwangsverheiratungen als Lebensrealität mit Kollektiv- Missbrauch an Kindern und jungen Heranwachsenden über Generationen praktiziert werden. Ich vermute sehr stark, dass die ehemals zwangsverheiratete und unreflektierte Mütter keine untergeordnete Rolle spielen, was die Förderung, Unterstützung und Aufrechterhaltung der Zwangsverheiratungen an den eigenen Kindern anbetrifft.

„In Südasien und der islamischen Welt wird Zwangsheirat heute noch praktiziert, wenngleich sie oft gesetzlich verboten ist. In Südasien ist sie heute im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten jedoch eine Ausnahmeerscheinung. In Afrika (Malawi) werden Mädchen häufig schon mit 12 oder 13 Jahren verheiratet.“ [5]

Eine aktuelle türkischsprachige Serie mit dem Titel „HAYAT devam ediyor“ bei dem türkischen Sender atv veranlasste mich, diesen Beitrag über das Thema zu schreiben. Hayat heisst aus dem Türkischen übersetzt „das Leben“. Hayat ist zugleich ein weiblicher Vorname. Der Titel der Serie ist doppeldeutig. So heisst es übersetzt auf der einen Seite: „Das Leben geht weiter“ und auf der anderen Seite heisst es: „Hayat geht ihren Weg“. Im folgenden Trailer heisst die Hauptdarstellerin, in der Rolle einer Minderjährigen und mit einer Zwangsehe verurteiltes Mädchen, Hayat.
Trailer – Die Worte der Kind-Braut:
„Ich heiße Hayat. Ich bin 15 Jahre alt. Mein Mann ist 70 Jahre alt.
Und das, was ich trage, ist nicht mein Brautkleid, sondern mein Leichentuch.“

„Benim adım Hayat. 15 yaşındayım. Kocam 70 yaşında. Üstümdeki gelinliğim değil, benim kefenimdir.“

 

In vielen Regionen Anatoliens werden auch im 21. Jahrhundert minderjährige Mädchen mit älteren oder sehr alten Männern zwangsverheiratet. In diesen Regionen dominieren Elternrecht und Groß-Clan-Recht. Wenn sie sich, aus welchem Grund auch immer, für diese Form der Lenkung des Lebens ihrer Töchter entschieden haben, geschieht dies nach einem eigenen individuellen Traditions- und Rechtsverständnis. Dort wird die Ehre der ledigen Töchter an ihrer Jungfräulichkeit gemessen. Die Ehre der verheirateten Frauen wird an ihre gehorsame Unterordnung gegenüber dem Ehemann und seiner Familie gemessen.

Die materiellen Interessen an Brautgeld und Gold einer armen Familie, stellen einen ersten Grund für eine Zwangsverheiratung ihrer Tochter dar.

Wenn der Familie bekannt wird, dass die ledige (insb. minderjährige) Tochter ihre Jungfräulichkeit vor der Eheschließung verloren hat, so wird sie entweder mit einem älteren oder sehr wohlhabenden, alten Mann zwangsverheiratet, damit die dort geltende Ehre für die Familie gerettet werden kann. Ansonsten fällt der Familien-Clan das Urteil ihrer Selbstjustiz, in dem zumeist der jüngste Bruder die vermeintliche Schande der Schwester mit ihrer Tötung eliminiert und aus ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Sicht die Ehre der Familie wiederherstellt. Die EhrenMORDE sind in diesen Regionen keine Seltenheit.

Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend realisierten und veröffentlichten die folgenden AutorInnen am 28.03.2011 eine wissenschaftliche Untersuchung zum Thema: Dr. Thomas Mirbach, Lawaetz-Stiftung Torsten Schaak, Büro für Sozialpolitische Beratung Katrin Triebl, Lawaetz-StiftungUnter Mitarbeit von Christin Klindworth, Lawaetz-StiftungSibylle Schreiber TERRE DES FEMMES e. V. Johann Daniel Lawaetz-Stiftung Arbeitsbereich Beratung | Evaluation | Wissenstransfer Hamburg.
„In der Forschung besteht ebenso Einigkeit darüber, dass sich Zwangsverheiratungen nicht auf bestimmte religiöse Traditionen zurückführen lassen, sie kommen in unterschiedlichen sozialen, ethnischen und kulturellen Kontexten überall auf der Welt und auch in Europa vor. Laut der Studie waren in Deutschland überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund insbesondere solche mit türkischer Herkunft im Alter zwischen 18 und 21 Jahren von Zwangsverheiratung bedroht und betroffen, in vielen Fällen hatten sie die deutsche Staatsangehörigkeit. Unabhängig vom Alter hatten die Verheirateten ein deutlich niedrigeres Schul- und Berufsbildungsniveau als diejenigen, die noch nicht verheiratet wurden. Häufig geht eine Verheiratung mit Schul- und Ausbildungsabbrüchen einher. Zudem sind die Betroffenen in hohem Maße davon bedroht, für die Ehe zukünftig im Ausland leben zu müssen. Ebenso waren auch Jungen und Männer in Deutschland von Zwangsverheiratungen bedroht oder betroffen.“ [6]

Im Ausland geplante und praktizierte Zwangsverheiratungen der in Deutschland lebenden Eltern mit Migrationshintergrund, soll Sohn oder/und Tochter, die in europäisch geprägten Ländern aufgewachsen sind und durch Heirat mit einem Partner aus dem Herkunftsland der Eltern „diszipliniert“ und stärker auf die Normen der Herkunftskultur verpflichtet werden.
Sowohl im Ausland wie in Deutschland Geborene werden also weit mehrheitlich im Ausland verheiratet, um in Deutschland die Justiz zu umgehen. Sind die Betroffenen im Ausland geboren, so liegt laut der obigen Studie zu 59 % auch das Ausland Ort der Zwangsverheiratung, für in Deutschland Geborene beträgt der Anteil 49 %. Die vorgesehenen Ehegatten leben mit ca. 64% ebenfalls im Ausland. Zwangsverheiratungen gehen für Betroffene vielfach mit einem unfreiwilligen Umzug ins Ausland einher.

Eine weiterer Motiv der beteiligten Akteure für eine Zwangsverheiratung ist die Bekämpfung von Homosexualität.

Die Angst der Familien vor dem Verlust der „Ehre“ sowie die Absicht zur Erlangung der Aufenthaltsgenehmigung in einem EU-Land können weitere Motive darstellen.
Die Motive und Ursachen für eine Zwangsverheiratung in armen oder sehr konservativen Kulturen unterscheiden sich teilweise von denen der in Deutschland veranlassten Zwangsverheiratungen.

 
 

Teil V: Kurze Information zur rechtlichen Situation in Deutschland

Das „Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften“ vom 23. Juni 2011 (BGBl. I S. 1266) ist am 1. Juli 2011 in Kraft getreten. Sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene wurden vielfältige Maßnahmen zur Verhinderung und Bekämpfung von Zwangsverheiratung gefördert.

 
 

Teil VI: Schlussbetrachtung und eigene Empfehlungen

Ich hoffe, dass ich Euch und Ihnen mit diesem Beitrag den ersten Schritt zur Sensibilisierung für das Thema der Zwangsheirat gesetzt habe. Die regionale und bundesländerübergreifende Vernetzung der Betroffenen, Interessenten, Vereine, Einrichtungen, Beratungsstellen etc. wäre unser gemeinsamer Schritt. Hier darf die Aufklärungsarbeit nicht vernachlässigt werden.

Ich bitte Euch und Sie, bei Verdacht und Wissen von Fällen, nicht passiv zuzuschauen,
sondern zu HANDELN und zu HELFEN!
Massiv von Drohung und Gewalt zur Durchsetzung einer Zwangsverheiratung Betroffene/n bitte ich, die entsprechenden Einrichtungen, wie das Jugendamt, Frauenberatungsstellen,
TERRE DES FEMMES, Zufluchtstellen, Vereine und Telefon-Hotlines (auch anderer Bundesländer) zu kontaktieren sowie die Polizei einzuschalten.

 

© Çiğdem Gül – 2011

Diplom-Ökonomin & freie Journalistin

 
 
 

Fußnoten

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Zwangsheirat

[2] Kelek, Necla, (2007), Heirat ist keine Frage, in: Zwangsverheiratung in Deutschland, Bd. 1, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Baden-Baden

[3] http://www.ehrverbrechen.de/1/images/downloads/bund-laender/Zwangsverheiratung-in-Deutschland-Kurzfassung.pdf

[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Zwangsheirat

[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Zwangsheirat

[6] http://www.ehrverbrechen.de/1/images/downloads/bund-laender/Zwangsverheiratung-in-Deutschland-Kurzfassung.pdf

 
 
 

Picture 1 thanks to © Yuko Nagayama (Tokyo/Japan)

Picture 2 + 3 thanks to © Anatoly Bisinbaev (St. Petersburg/Russia)

 
 
 

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