Andrea Schwiebert: Hochbegabte in der Generation der Kriegs- & Nachkriegskinder – Narzissmus als häufige Bewältigungsstrategie?


Andrea Schwiebert
 
 
 
 

Andrea Schwiebert

 
 
 

Hochbegabte in der Generation der

 

Kriegs- und Nachkriegskinder

 
 

– Narzissmus als

 

häufige Bewältigungsstrategie?

 
 
 
 
Andrea Schwiebert
 
 
 
 
 

Von Andrea Schwiebert

Diplom-Sozialpädagogin, Systemische Beraterin, Sozialtherapeutin, Coach für Hochbegabte, Buchautorin

Münster/Deutschland – 12. März 2023

 

Da ich mit vielen Klient:innen in der Beratung und in Gesprächskreisen und Seminaren auch über ihre Kindheitserfahrungen mit den eigenen Eltern spreche, ist mein – natürlich subjektiver – Eindruck inzwischen, dass auffällig viele von ihnen – also auffällig viele heute ca. 40–60-jährige Hochbegabte – berichten, mindestens
einen narzisstisch gestörten Elternteil zu haben, unter dem sie sehr gelitten hätten. Diese Elternteile gehörten zur Generation der Kriegs- und Nachkriegskinder und ich halte es für wahrscheinlich, dass in dieser Generation Hochbegabung und Narzissmus tatsächlich öfter gemeinsam aufgetreten sind. Erklärbar wäre dies dadurch, dass unerkannt Hochbegabte dieser älteren Generation aufgrund der Umstände von Krieg und Nachkriegszeit ihre Neigungen und Begabungen und auch ihre besondere Sensibilität und emotionale Intensität oft nicht ausleben durften. In den damals harten Zeiten hieß es »Zähne zusammenbeißen!« und »Wir sind ja nicht aus Zucker!« Über Gefühle wurde eher nicht geredet und Selbstverwirklichung war unerreichbarer Luxus. Da sie selbst in den meisten Fällen also nicht in ihrer Komplexität und Zartheit gespiegelt und gesehen und in ihrer Entfaltung eher behindert als gefördert worden sind, ist wenig überraschend, dass viele unerkannt hochbegabte Kriegs- und Nachkriegskinder möglicherweise im späteren Leben ein hohes Maß an Geltungsbedürfnis an den Tag gelegt haben. Anzunehmen ist auch, dass sie ihre eigenen, ebenfalls hochbegabten Kinder, aus dem eigenen Unglück heraus und mit einer Unfähigkeit, deren »Glänzen« zu ertragen, in ihrer Entfaltung behindert oder sogar körperlich oder emotional misshandelt haben.

Elisa (55) berichtet von ihrer Erfahrung:

»Mein Problem ist, glaube ich, mein unerkannt hochbegabter Vater. Bei ihm waren Narzissmus und Kontrolle sehr stark ausgeprägt und er konnte mich neben sich nicht wachsen lassen. Die Familie war sein Ort der Macht, die er in anderen Zusammenhängen nicht hatte. Somit hat er mich immer klein gehalten – daher rühren viele meiner Themen: Selbstwert, Selbstliebe, Vertrauen in meine Fähigkeiten. Erkannt, wertgeschätzt, habe ich mich in meiner Familie nicht gefühlt. Abgewertet wurde mein kritisches Denken. Meine Meinung wurde nicht wertgeschätzt. Ich lebte in einer Atmosphäre der Angst vor dem nächsten Wutausbruch meines Vaters.«

Ich habe viele Geschichten gehört von Elternteilen aus der Kriegs- und Nachkriegsgeneration, die ihren Frust in Alkohol ertränkt, eine Atmosphäre von Angst und Unberechenbarkeit in ihrer Partnerschaft und Familie verbreitet, einerseits überzogenen Leistungsdruck für ihre Kinder aufgebaut und andererseits deren Erfolge verhöhnt haben. Es ist für mich ein Wunder, wie viele der heute erwachsenen Kinder dieser Menschen es geschafft haben, sich selbst aus diesen unguten Mechanismen zu befreien und ihren eigenen Kindern liebevoller und offenherziger zu begegnen, als es ihnen vorgelebt wurde. Dies ist natürlich kein leichter Weg, aber Hochbegabte sind oft bemerkenswert resilient und schaffen es, an schwierigen Ausgangsbedingungen zu wachsen, ein positiveres Verhältnis zu sich selbst aufzubauen und nicht selbst zu Täter:innen zu werden.

 

– Ende –

 

Dieser Text wurde mit freundlicher Genehmigung der Autorin © Andrea Schwiebert (Münster/Deutschland) und mit freundlicher Genehmigung des © Junfermann Verlags (Paderborn/Deutschland) veröffentlicht.

Das Foto wurde mit freundlicher Genehmigung von © Andrea Schwiebert veröffentlicht.

 

Andrea Schwiebert ist Diplom-Sozialpädagogin, Systemische Beraterin, Sozialtherapeutin, Coach für Hochbegabte und Autorin mehrerer Bücher.

Webseite: https://www.andrea-schwiebert.de

Hier zwei wichtige Bücher von Andrea Schwiebert:

»Kluge Köpfe lieben anders – Wie Hochbegabten die Liebe gelingt«
(Das Buch ist am 12.01.2023 erschienen. / ISBN: 978-3-7495-0400-8, 336 Seiten, Junfermann Verlag

»Kluge Köpfe, krumme Wege? – Wie Hochbegabte den passenden Berufsweg finden«
Das Buch ist am 23.11.2015 erschienen / ISBN: 978-3-95571-426-0, 224 Seiten, Junfermann Verlag

 
 

Liebe Andrea,
von Herzen MERCI für unsere inspirierende Begegnung und blütenreiches Gespräch, für Deinen wertvollen Beitrag und für unsere gute Zusammenarbeit.
Liebe Grüße, Çiğdem

 

Sehr geehrtes Junfermann-Verlagsteam,
vielen Dank für Ihr Vertrauen und für die Genehmigung zur Veröffentlichung des Textes.
 
Wuppertal, 12.03.2023

Mit freundlichen Grüßen
Çiğdem Gül
 
 
 
 
 
 

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