Fünf gute Fragen für Hochbegabte


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Von Franziska Dittrich – 08.02.2018

 

Im heutigen Beitrag geht es um eine Frage, die im Leben Hochbegabter einen sehr großen Platz einnimmt, sich in regelmäßigen Abständen nahezu aufdrängt. Ich lade Dich ein, einmal zu überlegen, wann Du Dir diese Frage zuletzt gestellt hast.

„Und jetzt?“

In der letzten Zeit habe ich gemerkt, wie ich mich selbst einmal wieder täglich regelrecht gebetsmühlenartig um diese Frage drehe und es scheint sich einfach keine Antwort zu zeigen. Ständig höher, schneller, weiter, mehr… Das ist es, wonach wir Menschen streben – Hochbegabte vielleicht noch ein bisschen mehr als Normalbegabte.

Wir scheinen dauerhaft Idealen hinterherzulaufen, Perfektion anzustreben, ungeduldig unsere Träume zu verfolgen. Kaum ist etwas „gut“ und abgeschlossen, taucht wieder diese Frage auf und treibt uns von Tag zu Tag. Und dabei vergessen wir oft, dass wir vielleicht gar nicht hier auf diese Welt gekommen sind, um uns aufzuarbeiten, abzumühen und zu plagen, um dann am Ende festzustellen, dass wir ohnehin nie ans Ziel kommen. Das Ziel gibt es nämlich leider nicht. Sobald ein Ziel erreicht ist, fassen wir das nächste schon ins Auge und der ganze Teufelskreis beginnt von vorn.

Es heißt, die Qualität der Fragen, die wir uns in unserem Leben stellen, bestimme die Antworten, die sich dann in der Realität manifestieren. Aber mal ehrlich: Die Frage „und jetzt?“ impliziert ja schon, dass unser Geist nie zur Ruhe kommen kann und wir nie mit etwas zufrieden sein werden, oder?

Ich lade Dich daher ein, die Frage „und jetzt?“ zumindest vorübergehend einmal aus Deinem Repertoire zu entfernen und Dir stattdessen die fünf guten Fragen, die gleich folgen, zu stellen. Vielleicht nimmst Du Dir für das Beantworten einer jeden Frage jeweils einen Tag Zeit. Stelle Dir die Frage bevor Du schlafen gehst, achte auf Deinen ersten Gedanken am darauffolgenden Morgen, erinnere Dich im Laufe des Tages immer wieder an sie und lasse Dich überraschen.


1. Was will ich wirklich?

Diese Frage ist aus meiner Sicht für uns Hochbegabte eine der wichtigsten Fragen überhaupt. Generell neigen wir dazu, schon selbst zu viel von allem zu wollen und interessieren uns darüber hinaus auch noch dafür, was andere für uns wollen. Wir versuchen dann, möglichst viel von all dem in unsere Tage und unseren gesamten Lebensplan zu integrieren und wundern uns, wenn irgendwann schließlich alles zu stagnieren scheint und gar nichts mehr funktioniert. Als Hochbegabte(r) hast Du in Deiner Kindheit, Jugend und vermutlich auch jetzt im Erwachsenenalter schon viel zu oft gehört, dass Dein Denken, Deine Sichtweisen, Deine Vorhaben, Pläne, Wünsche, Träume, Dein Verhalten und Dein Fühlen vollkommen verquer, vielleicht sogar „falsch“ seien. Du hast gelernt, was man denkt – weniger wie man denkt. Daher fällt es Dir unter Umständen schwerer als anderen Menschen, Dir eine ehrliche Antwort auf die Frage „Was will ich wirklich?“ zu geben – vielleicht sogar, sie Dir überhaupt ohne schlechtes Gewissen oder Angst zu Versagen zu stellen.

Hochbegabten wird häufig nachgesagt, dass „krumme Lebensläufe“ für sie typisch seien. Dies liegt sicherlich zum einen an den vielfältigen Interessen und daran, sich ungern festlegen zu wollen. Zum anderen glaube ich, dass es auch eine große Rolle spielt, dass wir sehr große Schwierigkeiten damit haben herauszufinden, was wir eigentlich wirklich wollen – uns also die richtigen Fragen zu stellen. Normale Lebensläufe (im Privaten ebenso wie im Beruflichen) klingen für Hochbegabte langweilig, wenig herausfordernd und somit nicht erstrebenswert. Nach einer gewissen Zeit wird sich immer wieder die Frage „und jetzt?“ aufdrängen. Vielleicht verliert diese Frage niemals ihre Stimme. Aus eigener Erfahrung kann ich aber sagen, dass sie sehr viel leiser wird, wenn ich ihr zuvorkomme indem ich mir von Zeit zu Zeit Gedanken darüber mache, was ich wirklich will und wohin die Reise eigentlich gehen soll.

Dir sollte Folgendes bewusst sein: In dem Moment, in dem Du Dir nicht zu 100% im Klaren darüber bist, was Du wirklich willst, wird Dir diese Entscheidung abgenommen. Deine Aufgaben, Dein Partner, Dein Vorgesetzter, Deine Kinder, Deine Freunde werden es innerhalb kürzester Zeit verstehen, das Setzen Deiner Prioritäten für Dich zu übernehmen und somit zu entscheiden, was sie für Dich / mit Dir wirklich wollen. Willst Du das wirklich?


2. Was bedeutet für mich Erfolg?

Ein weit verbreiteter Irrglaube ist es, dass Hochbegabte durch ihre „besondere Begabung“ auch besonders erfolgreich seien. Erfolg ist für viele Menschen eng verbunden mit finanziellem, materialistischem Wohlstand – also mit den Dingen, die der Rest der Gesellschaft wahrnehmen kann. Die Frage „Wofür bekomme ich Anerkennung von anderen?“ scheint der Maßstab aller Bemühungen zu sein. Das hat zur Folge, dass man einen Großteil seiner Lebenszeit damit verschwendet, nach eben diesen Dingen zu streben, sich für sie aufzuarbeiten und ständig abgehetzt zu sein – im ersten Schritt, um sie zu erlangen und im nächsten Schritt, um sie und die zugehörige Anerkennung „für immer“ behalten zu können. So nüchtern betrachtet klingt das ziemlich paradox und traurig, oder? Die Krux an der Sache ist, dass sich leider die wenigsten Menschen jemals in ihrem Leben ausführlich Gedanken und Mühe machen, den Erfolgsbegriff einmal ganz individuell für sich zu definieren. Viel bequemer scheint es, die etablierten Gesellschafts-Standards zu übernehmen und das eigene Leben in diese Schablone zu pressen – meist eher mit mäßigem Erfolg.

Sicherlich hattest Du in Deinem Leben schon häufiger Momente, in denen Dich ein Gefühl tiefster, innerer Zufriedenheit überkommen hat. Begegnungen, die Dich den ganzen Tag strahlen ließen. Tätigkeiten, während denen Du die Zeit vollends vergessen hast. Abende, an denen Du im Bett lagst und beim Rückblick auf Deinen Tag Dein Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht bekommen hast. Könnte nicht genau all das Erfolg sein? Diese transzendentale Sichtweise, die alle möglichen anderen Erfolgsdefinitionen vollkommen über den Haufen wirft? Angesichts der Tatsache, dass Du am Ende Deines Lebens von dieser Welt nichts Materielles mitnehmen wirst: Worauf kommt es wirklich an? Was bringt Dein Herz zum Hüpfen? Was muss geschehen, dass Du Dein Leben ganz persönlich für Dich als erfolgreich bezeichnest? Hinterfrage einmal kritisch, ob Deine aktuelle Erfolgsdefinition wirklich Deine eigene ist, oder ob Du sie stillschweigend von jemandem übernommen hast.


3. Was braucht es, dass dieser Tag ein schöner Tag wird?

Erinnere Dich einmal zurück an den heutigen Morgen. Vielleicht wurdest Du durch das Klingeln eines Weckers wach, hast Dich noch einmal gemütlich in Deinem Bett umgedreht und Dich dann dazu entschlossen, in den Tag zu starten. Genau in diesem Moment: Was war Dein erster Gedanke? Hast Du dich geärgert, dass die Nacht zu kurz war und es noch dazu bei diesem Wetter eine Zumutung ist, überhaupt aufstehen zu müssen? Hast Du vor Deinem geistigen Auge den bevorstehenden, vielleicht stressigen oder gar langweiligen Tag an Dir vorbeiziehen sehen und warst unzufrieden mit dieser Vorstellung? Ich empfehle Dir wärmstens, Dir schon morgens noch vor dem Aufstehen einmal kurz Gedanken darüber zu machen, was Du Dir für den anstehenden Tag wünschst. Stell Dir diese gute Frage tagaus, tagein. Der Vorteil an dieser Praxis ist nicht nur, dass Du Deine Gedanken direkt am Morgen auf etwas Positives fokussierst, sondern auch, dass Du Dir so mehr und mehr darüber klar wirst, was Du in Deinem Leben eigentlich willst (siehe oben).


4. Welche meiner Ideen, Wünsche und Träume gehe ich als Erstes an?

Ein häufiger Show-Stopper im Leben Hochbegabter ist die Unentschlossenheit darüber, welche ihrer vielfältigen Ideen, Wünsche und Träume sie als Nächstes angehen sollen. Sicherlich hast Du Dir viele Visionen und Vorhaben schon gedanklich zerredet, weil es Dir nicht gelungen ist, sie vor Deinem strengen Geist gut verargumentieren zu können. Deine Schwächen und Grenzen sind Dir präsenter als Deine Stärken es jemals sein könnten. Und dennoch gibt es tief in Dir, vielleicht irgendwo in einer Ecke abgestellt oder unter einem großen Haufen rationaler Gebilde verborgen diese Begeisterungsfähigkeit. Diesen kindlichen Enthusiasmus, der Deine Phantasie Bilder in den buntesten Farben malen lässt, Dir am laufenden Band neue, kreative Ideen schickt und Dich ausgiebig von deren Umsetzung träumen lässt. All diese Gedanken zu sortieren, zu strukturieren, auf Umsetzbarkeit zu überprüfen und schließlich zu priorisieren ist ein wahrer Kraftakt. Wohl auch deshalb resignieren Hochbegabte oft und wundern sich dann, wenn sie im Laufe der Jahre den Eindruck haben, dass alles zu stagnieren scheint – ein Gefühl der latenten Unzufriedenheit wird zum dauerhaften Begleiter.

Nur für den Fall, dass Du es vergessen haben solltest: Als Hochbegabte(r) verfügst Du neben einer nicht versiegenden Quelle an Ideen auch über den nötigen Intellekt und die geistige Kapazität, diese zu kanalisieren, zu priorisieren und sie schlussendlich in die Tat umzusetzen. Vielleicht traust Du Dich einfach einmal wieder, die verschlossenen Tore in Deinem Geist einen Spalt weit zu öffnen und machst einen ganz unverbindlichen Spaziergang durch Deinen verwilderten Gedankengarten? Lass Dich überraschen, was es dort alles wahrzunehmen gibt.


5. Was kann ich sonst noch für mich tun?

Eine jede und ein jeder von uns war in seinem Leben in irgendeiner Situation schon einmal Dienstleister – sei es im beruflichen Kontext, in der Beziehung, oder in der Familie. Die Frage „Was kann ich sonst noch für Sie/Dich tun?“ oder „Kann ich sonst noch etwas für Sie/Dich tun?“ ist somit sicherlich jedem geläufig. Wir Menschen neigen generell dazu, eher noch (im übertragenen Sinne) die dreckige Wäsche unserer Mitmenschen zu waschen, anstatt uns selbst etwas Gutes zu tun.

Wann hast Du Dich das letzte Mal gefragt, was Du sonst noch für Dich tun kannst? Es geht hier nicht um die Befriedigung Deiner Grundbedürfnisse, sondern um das Gute on top. Als Hochbegabte(r) bist Du mit einem Gehirn gesegnet, das permanent Schwerstarbeit leistet, Dir eine messerscharfe Sinneswahrnehmung ermöglicht, ein ausgeprägtes Werteverständnis aufrechterhält und Dich permanent und unaufhörlich mit Emotionen jeglicher Art versorgt. Dafür könnte man sich doch eigentlich von Zeit zu Zeit einmal bedanken, oder?

Wie diese Art von Dankbarkeit und „sich etwas Gutes tun“ speziell für Dich aussehen kann, weißt nur Du selbst. Sobald Du diese Frage einmal mit in den Tag nimmst, werden die Antworten nicht lange auf sich warten lassen. Vielleicht machst du wie ich auch gerne anderen Menschen Geschenke (es geht hier nicht um materialistische Dinge). Vergiss Dich selbst dabei nicht und lerne, Dich darüber genauso zu freuen wie wenn Du anderen eine Freude machst – Du bist es wert!

Möglicherweise rebelliert Dein Bewusstsein jetzt, wenn Du versuchst, ihm neue Fragen unterzujubeln, auf die es die Antworten vermeintlich noch nicht kennt. Ich möchte Dich ermutigen, diese Fragen trotzdem mit in die nächsten Tage zu nehmen. Beobachte einmal, was sich durch Deinen veränderten Fokus alles zu zeigen vermag und hör gut hin. Eigentlich geht es doch nur darum, mit sich selbst Frieden zu schließen und ein Leben zu entwerfen, in dem Du Dich wohlfühlst, oder? Fang doch gleich heute damit an.

 

© Franziska Dittrich

B.A. Wirtschaftspsychologie & Betriebswirtschaft
Corporate Development & Administration Manager
Hochbegabte Autorin in München/Deutschland

https://highlygifted.de/

 

Picture thanks to © Dmitry Spiros (Tashkent/Uzbekistan)

 

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